Tiere und andere Menschen | Tag 3
Victoria Strobl und Irene Zanol berichten täglich von den Europäischen Literaturtagen.11:00 Uhr – Verborgenes und Erlesenes mit Jan Wagner
Gregor Kremser, Leiter des Kremser Kulturamtes, begrüßt im Namen von Krems Kultur und den Europäischen Literaturtagen das Publikum, das an diesem Morgen in die Piaristengasse gekommen ist, um dem Lyriker und Übersetzer Jan Wagner sowie Klängen der Harfenklasse der Musikschule Krems zu lauschen. Worte und Klänge treffen in der Veranstaltungsreihe „Verborgenes und Erlesenes“ aufeinander, die das Publikum an Orte in Krems führt, die sonst nicht öffentlich zugänglich sind und die es für Kremser*innen genauso wie für Gäste noch zu entdecken gilt. Heuer ist es das barocke ehemalige Refektorium der Piaristen, das ehemals zum Jesuitenkloster gehörte. Den Raum, der ein Stück Stadtgeschichte spiegelt, bringt uns zunächst die Historikerin und Archivarin des Niederösterreichischen Landesarchivs, Elisabeth Loinig näher.
Das musikalische Programm wird von der von Maria-Theresia Trefny geleiteten Harfenklasse der Musikschule Krems gestaltet. Trefny selbst eröffnet es mit einer musikalischen Geschichte, die ihren Ausgangspunkt im keltischen „Lied der Könige“ nimmt.
Anschließend nehmen Jan Wagner und Walter Grond, der künstlerische Leiter der Europäischen Literaturtage und Moderator des Vormittags, auf der Bühne Platz. In seiner Einleitung schlägt Grond einen Bogen zwischen dem besonderen Raum, in dem wir uns befinden, und dem Eröffnungsabend der diesjährigen Literaturtage. Der Raum sei Teil einer architektonischen Erhebung aus dem Stadtbild, die durch gegenreformatorische Bestrebungen entstanden ist. Eine Parallele dazu sehe er in der Eröffnungsdiskussion zwischen Anne Sophie Meincke und Michael Köhlmeier, in der reformatorischen Gedanken ebenfalls prompt mit Gegenreformation begegnet wurde.
Jan Wagner, Lyriker, Übersetzer, Herausgeber und vieles mehr, wie Walter Grond betont, hat unter anderem den 2023 erschienenen Bands „Steine & Erden“ mit nach Krems gebracht. Auf die Frage, ob und wie sich die verschiedenen Tätigkeiten, das eigene literarische Schreiben mit dem Vermitteln und Entdecken anderer Literatur, gegenseitig befruchten, antwortet der Büchner-Preisträger, dass dies alles gut zusammenpasse, dass er beim Übersetzen viel von großen Meistern und Dichter*innen lerne.
Passend zum Thema „Menschen und andere Tiere“ hat er Texte aus verschiedenen Gedichtbänden mitgebracht, die sich allesamt mit Tieren beschäftigen. Und so hören wir in drei kurzen Leseblöcken nicht nur eine Hommage auf die Stechmücke, sondern erfahren auch von Koalas, Chamäleons, Kaiserpinguinen und dem bis dato in der Weltliteratur noch kaum bedichteten Grottenolm.
Wagner wirft seinen Blick auf das Kleine, auf Tiere und auch auf Gegenstände – die großen Themen, so führt er aus, ergeben sich daraus automatisch. Ein Gedicht über ein Paar Schuhe etwa kann zum Liebesgedicht werden, wenn man den Schuhen gerecht wird. Ein Gedicht auf Krähen wird - das Publikum kann es in der Lesung nachvollziehen - zum Nachruf auf einen Freund, dem Krähen viel bedeuteten.
Wagner selbst stehe nicht in der Nature Writing Tradition oder der Eco-Poetry-Bewegung, er schreibe auch gar nicht ausschließlich über Natur, doch er schätze die Lyrik auch dafür besonders, dass sie einlädt, in andere Rollen zu schlüpfen und damit eine gute Schule sei, sich in andere hineinzuversetzen – in Menschen, Tiere oder Gegenstände.
Literarisch findet der Vormittag seinen Abschluss mit einem Gedicht über einen Bienenschwarm – passend dazu begann Rosa Schischke ihr Harfenspiel mit einer Interpretation von „busy bees“, bevor Christine Kutschera die Veranstaltung mit zwei Eigenkompositionen schloss.
14:30 Uhr – Spurensuche: Spaziergang mit Albert Hosp und Nikolaus Kratzer
Auch der nachmittägliche Spaziergang am Samstag ist fixer Bestandteil der Literaturtage. In diesem Jahr führen der Musikjournalist Albert Hosp und Nikolaus Kratzer vom Zentrum für Museale Sammlungswissenschaften der Donau-Universität Krems die Gruppe zu architektonisch bedeutenden Gebäuden, Höfen und Plätzen der Stadt, darunter auch in die Landesgalerie Niederösterreich. Aufgezeigt werden die zahlreichen musikalischen Bezüge zu Krems, etwa von Beethoven oder Ludwig von Köchel, bevor man sich der bildenden Kunst widmet. “Es war sehr interessant, in der Begleitung der immer wieder kurz eingespielten Musik diesen Spaziergang zu machen”, resümiert die Verlegerin Julia Eisele.
17:00 Uhr – Menschen, Tiere, Landschaften
Wie auch schon in den beiden Jahren zuvor durften wir mit unserem Podcast Auf Buchfühlung den Büchertalk gestalten. Unsere Gäste, Roberta Dapunt, Tara June Winch, Christina Walker und Kinga Tóth stellten uns und dem Publikum ihre mitgebrachten Werke vor.
Roberta Dapunt eröffnete den Abend mit einer Lesung aus mehreren ihrer Lyrikbänden, wobei sie auf Deutsch, Italienisch und Ladinisch las. Menschen, Tiere und Landschaften prägen ihr vielfach ausgezeichnetes Werk sehr stark, etwa auch „Nauz“, den erstmals 2012 erschienenen Band, in dem sie nüchtern, aber mit poetischem Zauber vom bäuerlichen Ritual des Schlachtens eines Schweines erzählt.
Die australische Autorin Tara June Winch las aus ihrem in der deutschen Übersetzung von Juliane Lochner bei Haymon erschienenen Roman “Wie rote Erde”. Sie nähert sich darin der Geschichte eines Aborigine-Stammes auf drei unterschiedlichen Erzählebenen. Thema des Gesprächs war unter anderem das erschütternde Nein zu mehr politischer Mitsprache der Indigenen in Australien. Auf mehreren Erzählebenen verarbeitet Tara June Winch die anhaltende Repression der indigenen Bevölkerung in Australien. Die Autorin selbst lebt mittlerweile in Frankreich.
Die in Augsburg lebende Schriftstellerin Christina Walker war mit ihrem 2023 erschienen Roman „Kleine Schule des Fliegens“ für den österreichischen Buchpreis nominiert. Sie erzählt darin von der Annäherung ihres Protagonisten Alexander Höch an die Saatkrähen, die sich in der Platane vor seinem Fenster angesiedelt haben. Walker berichtet im Gespräch von den besonderen Fähigkeiten der Krähen und von der Ablehnung, die ihnen von einem Teil der Nachbarschaft im Roman entgegengebracht wird. Die fehlende Empathie von uns Menschen – für unsere Artgenossen, aber auch und gerade für Tiere - führe zu Vertreibung derer, die einem nicht passen.
Die ungarische Sprachwissenschaftlerin, Visual- & Sound-Poetin Kinga Tóth überzeugte in ihrer Performance das Publikum mit spirituellen Klängen und eindringlichen Texten, unter anderem aus ihrem aktuellen Prosaband „Mondgesichter“. Mit dem Konzept, sich als ultimatives und finales Kunstprojekt selbst zu Hummus zu verarbeiten, eröffnete Tóth ein Gespräch, das von der Entscheidung, Tierleid zu vermeiden, über die moralische Verpflichtung gegenüber Haus- und Nutztieren reichte.
20:00 Uhr – Worte und Töne
Zum Abschluss des heutigen Tages moderierte Veronika Trubel zwei Gespräche: das erste mit der deutschen Lyrikerin und Philosophin Mara-Daria Cojocaru und im Anschluss daran ein Gespräch mit dem österreichischen Künstler Bodo Hell, der unlängst mit dem österreichischen Kunstpreis 2023 ausgezeichnet wurde.
Musikalisch umrahmt wurde die Veranstaltungen der Reihe Worte und Töne von der österreichischen Band Ramsch & Rosen, die Volksmusik der Gegenwart zwischen früher und jetzt präsentiert, in Kooperation mit dem Musikfestival Glatt&Verkehrt.
Mara-Daria Cojocaru las aus ihrem Lyrikband „Das Buch der Bestimmungen“, in dem sie, so Veronika Trubel, Poesie und Wissenschaft verwischt. Anders als in der Wissenschaft, wo Klarheit herrsche und keine Mehrdeutigkeit, wären es in der Lyrik Ambivalenz und Mehrdeutigkeit, die sie interessierten. In ihren Gedichten nimmt Cojocaru uns schließlich mit auf einen Spaziergang durch London. Da die Gedichte mit Google-Maps-Koordinaten versehen waren, konnte man dem Spaziergang auch optisch auf dem eigenen Smartphone folgen.
Bodo Hell erzählte anschließend über seine Arbeit als Ziegenhirte und Bergbauer, einer Tätigkeit, der er im Sommer im steirischen Dachstein-Gebiet nachgehe. In einem Artikel in der Literaturzeitschrift „Wespennest“, das in Kooperation mit den Europäischen Literaturtagen zum Thema Menschen und Tiere erschien, behandelt ein von ihm verfasster Artikel „Capriccio I (für zwei meckernde VorleserInnen und einen dritten Einwerfer)“ sein Verhältnis zu Tieren im Allgemeinen und zu Ziegen im Speziellen. Und ganz im Sinne des heutigen Themas überraschte er Walter Grond eine Woche zuvor auf der Österreichischen Buchmesse mit den Worten „Die Ziegen sind kurz vor dem Sprechen“. Zum Abschluss las Bodo Hell aus seinem zuletzt erschienenen Buch „Begabte Bäume“.
Die Musiker:innen Julia Lacherstorfer und Simon Zöchbauer picken zwischen den Lesungen und Gesprächen auf beeindruckende Weise Rosen aus dem Ramsch der traditionellen Musik und interpretieren sie neu.
Wie schon während des gesamten Festivals haben die Licht- und Tontechniker auch an diesem Abend wieder ihr Können bewiesen und den Klangraum Minoritenkirche zum Strahlen und zum Klingen gebracht.