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Zerschnittene Welt. Stadt & Land | Tag 4

Rebekka Zeinzinger und Irene Zanol berichten täglich von den Europäischen Literaturtagen.
Auf Buchfühlung (Rebekka Zeinzinger & Irene Zanol)

Die Matinee zu Ehren von David Grossman, der Höhepunkt der diesjährigen europäischen Literaturtage, wird mit atmosphärischen Klängen von Pamelia Stickney am Theremin und Peter Roman an der E-Gitarre eingeleitet.

Walter Grond heißt anschließend alle Gäste willkommen, ganz besonders den Träger des diesjährigen Ehrenpreises des Österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln, den israelischen Schriftsteller David Grossman.

Benedikt Föger, der Präsident des Hauptverbandes des österreichischen Buchhandels, erinnert in seiner kurzen Ansprache daran, dass der Autor 2010 bereits den Friedenspreis des deutschen Buchhandels bekommen hat und erinnert an seine damalige Dankesrede, in der Grossman seine Überzeugung ausdrückte: „Nur Frieden wird Israel ein Zuhause und eine Zukunft geben“. „Wie groß war die Hoffnung auf Frieden damals, wie gering ist sie heute“, gibt Föger zu bedenken und erinnert an die Aufgabe der Verleger*innen und Buchhändler*innen, auch in dieser Zeit an die Toleranz und den Frieden zu glauben.

Grossmans literarisches Schaffen sei geprägt von der Fähigkeit, Wunden und Hoffnungen einer konfliktreichen Region in Worte zu fassen. Er beweise, dass durch Empathie und Mut zur Reflexion Wege aus der Spirale von Konflikt und Feindseligkeit möglich seien. Föger erinnert aber auch an den Friedensaktivisten, der Grossman auch sei und als der er seit Jahrzehnten für eine Aussöhnung von Israelis und Palästinenser*innen eintrete. Diese Stimme, die unerschütterlich für Versöhnung und Menschlichkeit plädiert, wird heute mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet.

Nach der Laudatio durch Journalist und Literaturwissenschaftler Lothar Müller, der Grossmans umfangreiches Oeuvre und dessen Bedeutung würdigt, spricht Grossman darüber, dass Toleranz keineswegs selbstverständlich sei. Tolerantes Handeln sei eines gegen unsere Natur, gegen den Instinkt des Menschen, eines, das gelernt werden müsse.

Rosie Goldsmith erinnert in ihrer Einleitung zum Gespräch mit David Grossman an biographische Stationen des Autors, die von Krieg und Konflikten begleitet waren, aber auch von etwas, das größer sei als alles: der Kunst. Grossman sagt, dass Schreiben für ihn eine Form des Überlebens ist und die Bücher für Stationen seines Lebens stehen. Er berichtet im Gespräch, dass er kurz nach dem Tod seines Sohnes Uri – er ist im Libanonkrieg von einer Hisbollah-Rakete getötet worden – viele Bücher geschenkt bekommen hätte, die ihm helfen sollten, die Trauer zu verarbeiten. Doch wirklich helfen könne ihm nur, selber zu schreiben: „If I want to know what I feel, I have to write it down.”

Das Massaker vom 7. Oktober 2023 habe ihn gelähmt, so Grossman. Er brauche Zeit, um zu verstehen, was gerade passiere und wohin sich Israel entwickle. Von Goldsmith nach der größten Angst in Bezug auf sein Land befragt, äußert der Schriftsteller die Befürchtung, es werde keine Demokratie mehr sein. Das Land seiner Herkunft sei für ihn wertvoll und er habe nicht vor, es zu verlassen – allein schon, weil er nur dort das Gefühl habe, die sozialen und kommunikativen Codes zu verstehen – aber es werde zunehmend schwieriger, dieses Land zu mögen, insbesondere, weil man sich schon an die Rolle des Besatzers gewöhnt habe.

Von Kultur-Boykottmaßnahmen gegenüber Israel hält Grossman jedoch nichts. Es sei eine dumme Idee, gerade jene, die einen Dialog ermöglichen wollen und das andere Israel repräsentieren, zu boykottieren. Er wolle nicht in einer Welt leben, in der man Angst haben müsse zu sprechen, so Grossman, auf dessen Ausführungen das Publikum im Klangraum der Kremser Minoritenkirche mit großem Applaus und Standing Ovations antwortet.

So gehen die 16. Europäischen Literaturtage in gewohnt feierlicher Atmosphäre zu Ende. Die Teilnehmer*innen aus aller Welt verlassen Krems und fahren wohl mit viel Inspiration zurück – egal ob aufs Land oder in die Stadt.

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